Montag, 18.07.2022

vor Andøya / auf Senja - 130 (2930) km

22.07.22 - nur Korrektur km-Stand auf 2930 km

WETTER -  bewölkt - abnehmender Regen - wenig Wind

Schon tags zuvor kam mir das Wort "Schönwetterprokrastination" in den Sinn. Seit Tagen die Ansage von schönem und trockenem Wetter gegenüber real weiterhin viel Bewölkung und auch einigen Regenphasen. Die Regenjacke ist durchgängig im Einsatz und auch die Regenhose muss weiterhin griffbereit sein. Mit der extrem leichten Jacke, die an Starkregentagen vielleicht etwas eher als dickere Jacken "nachgibt", bin ich an solchen Tagen richtig gut versorgt und fühle mich sehr wohl. 

Auch bei mir gibt es natürlich eine morgendliche Prokrastination beim Aufstehen. Tags zuvor in den Bergen vor allem wegen der Kälte. Wo ich doch inzwischen weiß, dass ich immer mit entsprechender Bekleidung und schon den alltäglichen Bewegungen (zusammenpacken, Zelt abbauen) ganz schnell auch außerhalb des gemütlichen Schlafsacks warm werde. 

So sammelt sich auf dem Weg nach Norden ein kleiner Erfahrungsschatz mit dem sich arbeiten lässt und der beruhigend wirkt. Ich weiß besser, bei welchem Wetter ich mir was zutrauen kann oder möchte und kann so auch entschieden, welche Tage ich mit den Radfahrern aussetzen oder mir gar eine feste Unterkunft suchen muss. 

Vorerst ist aber eine gute Wetterperiode in Sicht, die bei etwas Glück bis zum Nordkap reichen könnte.

Ich habe mir vorgenommen, morgen Abend in Tromsø zu sein. Mit Georg gehen schon paar SMS Nachrichten hin und her. Ich freue mich auf diesen festen Anlaufpunkt mitten auf der Reise - in Tromsø werden es recht exakt 3000 km sein, die von den geplanten 6000 km schon gefahren sind. 

Das sind dann heute deutlich über 100 km, die ich trotzdem genieße. Die Fähre von Andenes nach Senja ( nächste Insel) geht 17 Uhr und ich kann gemütlich und mit Pausen die Insel Andøya auf ihrer Westküste befahren. 

Mal wieder direkt am Meer und sehr abwechslungsreich. Mal ein breiter Küstenstreifen, dann wieder die Straße fast im Fels. Manche Siedlung in geschützter Bucht, manche ausgesetzt, zerstreut und frei im Wind (ohne Bäume) auf den den breiteren Küstenebenen. Oft trifft sich das was ich sehe mit Vorstellungen, die ich von Schottland, Island oder den Färoer habe.

Rechtzeitig in Andenes, findet ich hier eine besonders spröde Stadt. Keine gemütliche Ecke in Sicht. Aber die Fähre geht in einer halben Stunde, so ist das für mich kein Drama. 

Die Überfahrt zur Insel Senja ist für mich eigentlich eine Rückkehr aufs Festland. Während Lofoten und Vesterålen draußen im Meer liegen, ist Senja nahe am Festland und man muss auf der Karte schon genau hinschauen, um zu sehen, dass es eben eine Insel ist. 

Hier bin ich nun weniger mit inneren Bildern von 2017 vorbelastet und so begeistert mich die bergige und zerklüftete Küste, der wir uns bei der über 1-stündigen Fährfahrt nähern. Ich freue mich auf den nächsten festlandnahen Abschnitt der Reise.

50 km davon will ich wieder am Abend noch fahren. Wegen einer Tunnelbaustelle muss ich anstelle an der Nordküste quer über die Insel. Ein Pärchen aus Spremberg kommt mir entgegen und ist trotz Verbot in der Nacht durch die Baustelle geradelt, mir ist das aber nicht geheuer. 

Meine Wegstrecke durch die Insel hat auch ihren Reiz. Ich durchfahre auf halber Höhe ein schönes, sehr weites, unbesiedeltes wildes Tal. Spärlicher Birkenbewuchs und ein paar Seen. Die Berge im Hintergrund mit viel Restschnee. Unter anderen ein Fotostopp, weil auf der Gegenseite am Bergfuß und einem See ein Rauchfaden in den Himmel steigt. Wer (aus unserer Generation, die mit Winnetou,  Lederstrumpf und Indianerspiel aufgewachsen ist - was für die Jugend heute völlig unbedeutend ist) da nicht an Nordamerika denkt ...  

Und auf dem kleinen Parkplatz hat mich ein Norweger ansprochen. Er übernachtete mit seinen Wohnwagen und Hund. Ich denke im Wohnwagen auch seine Frau gesehen zu haben. Er ist reichlich 60 und auch wohnhaft nahe am Nordkap. Allerdings wird er noch im Urlaub sein, wenn ich dort oben bin. Ein sehr sympathischer Mensch, dem es unter anderem ein Bedürfnis war, zu erklären, dass wir Europäer angesichts Putins Krieg in der Ukraine unbedingt zusammenhalten müssen und der sich mit einem sehr herzlichen und zugewandtem Händedruck von mir verabschiedete.

Ich radle noch auf die andere Seite der Insel, denke bei der Landschaft an Schweden und an das junge Schweizer Paar, das von seinen Ost-West-Querungen  zwischen Nordschweden und Norwegen schwärmte und mit ihrer Begeisterung fast meine Reisepläne gekippt hätte. Ich hatte gegenüber Schweden immer meine Vorbehalte: zu weich, gemütlich, langweilig. Das hat sich inzwischen etwas geändert, da ich merke, dass ich hier auch die Gegenden attraktiv finde, die diesen Vorstellungen von Schweden nahe kommen. 

Wieder untern am Wasser, wieder mehr besiedelt - eine Zeltstelle findet sich recht schnell.  Es ist gegen 1 Uhr. Spät genug.