Samstag, 09.07.2022

Horn / Levang - 100 (2220) km

WETTER - sonnig - trocken  - leichter Rückenwind

 


Zuerst etwas, was ich vergessen habe.
Schon vor einigen Tagen hatte ich "meinen Elch". Am Abend (richtig dunkel ist es schon seit Oslo nicht) lief er ca 50 m vor mir über die Straße. Links aus dem Wald, rechts weiter über eine Wiese. Zum Fotografieren zu schnell und mich keines Blickes würdigend. In einer etwas disharmonischen, vermutlich aber elchtypischen "Gangart".

Mein etwas illegales Zelten im erweiterten Hafengelände hatte keine Konsequenzen. Ich habe ruhig geschlafen und mich da nicht verrückt gemacht. Überhaupt hat sich meine Befürchtung, der Zeltschlaf würde mich früh mehr und mehr mit Rückenschmerzen den Tag beginnen lassen, in keiner Weise bestätigt. Vermutlich liegt es daran, dass ich im 2-Mann-Zelt genügend Bewegungsfreiheit habe.

Den Tag bestimmt und mich im Nachhinein gedanklich auch beschäftigt haben zwei ungeplante "Besichtigungen" am Wegesrand.

Zum einen hatte ich zum wiederholten Mal die Ausschilderung "Krigsminne" an der Straße. Meist ging es dann in eine Seitenstraße zu einem Kriegsdenkmal. Heute lag es direkt an der Straße und ich habe mich zur Besichtigung entschlossen (und irgendwie verpflichtet gefühlt). Es war die zentrale Gedenkstätte für russische Zwangsarbeiter, die in Norwegen im 2. Weltkrieg ums Leben kamen - insgesamt 13.000. Die Anlage war sehr zurückhaltend aber eindrücklich gestaltet. Es hat mich sehr berührt und ich konnte mich meinem "Deutschsein" nicht entziehen.

Ungefähr 20 km weiter durfte ich dagegen ein wenig stolz meine Herkunft erwähnen. Auch nahe der Straße lag das Petter-Dass-Museum und ahnungslos frage ich einfach am Tickettresen "Wer oder Was" Petter Dass denn sei. Es stellt sich heraus, dass er, vereinfacht, eine Art Paul Gerhardt für Norwegen ist. Ein Pfarrer / Bischof (?), der im 16. oder 17. Jahrhundert mit christlicher Lieddichtung aber auch mit weltlicher Dichtung in die Zeit der Reformation wirkte. Größere Bedeutung erlangte sein Schaffen aber erst im 18. oder 19. Jahrhundert im Zuge des erwachenden Nationalbewusstsein der Norweger. Beim Thema Reformation kam der Ticketverkäufer von sich aus auf Martin Luther (dem übrigens auch die geschichtlichen Darlegungen im Dom in Trondheim einen Abschnitt widmen) und auf Wittenberg und Sachsen zu sprechen. Da habe ich gern erwähnt, dass das mehr oder weniger meine Heimat ist.

So ist nun die Liste berühmter Norweger, die mir geläufig sind um einen Namen reicher. So viele fallen mir leider nicht ein: Nansen (klar), Amundsen, Heyerdal, der Heilige Olav, Hamsun, Hammerskøld, Brundtland, Kirkegaard, Grieg und Munch - ich habe gerade kein Internet, um die korrekten Schreibweisen zu prüfen.

Verhältnismäßig viel "Kultur" also (das Museum selbst war auch ein Architektur-Highlight), daneben recht entspannte 90 km, unter anderem über eine recht große Hängebrücke - geschätzte 50 m über dem Wasser - und entlang eines Gebirgszugs ("Sieben Schwestern"), der Wanderlust weckte.

Am Abend aber doch noch ein Rennen gegen die Zeit, weil ich eine Fähre erreichen wollte. Dann stehe ich auf einem kleinen Pass und entscheide mich gegen die noch 5 km und eine Abfahrt entfernte Fähre und für eine Übernachtung da oben. Dann suche ich ein Plätzchen und finde nur mit Wasser vollgesaugte Moosflächen und Felsbrocken. Dann kommen 3 Radler daher und wollen unten auf einem Campingplatz übernachten - nahe der Fähre, die inzwischen abgefahren sein dürfte.

Ich schließe mich ihnen an und das ist eine richtig gute Entscheidung.
Erstens habe ich nach 4 wilden Nächten Bedarf nach etwas mehr Hygiene. Zweitens ist der Platz urig, sehr schön gelegen, unkonventionell, bisschen öko und preislich okay. Drittens treffe ich einen jungen Physiker aus Heidelberg, an sich ein sehr sympathischer Kerl und da Joachim bald auch Heidelberger ist, kann ich ihn ein wenig befragen. Viertens sind die 3 Radler mir von Trondheim bekannt und wir verstehen uns gut. Es sind Australier (Vater, Tochter, Schwiegersohn), vor allem der Vater sehr kommunikativ und entgegenkommend. Er will zum Nordkap, die Jugend fährt eine Teilstrecke mit. In Trondheim sind wir uns am Fahrradladen begegnet. Das Rad der Tochter war beim Hinflug abhanden gekommen und sie überlegten, ein neues Rad zu kaufen.

Ein schöner Tagesabschluss also. Ich hätte ein Glas Rotwein in netter Runde angemessen gefunden und habe ihn schmerzlich vermisst. Vielleicht sollte ich ein Fläschchen für solche Fälle besorgen. Es ist ja nicht so, dass es hier gar keinen Alkohol gäb