Sonntag, 24.07.2022

Nordkap - 150 (3590) km

WETTER - etwas Sonne - fast trocken - Wind aus allen Richtungen 

Die Wettervorhersage für das Nordkap: heute (Sonntag) spät in der Nacht aufklarend, morgen (Montag) im Laufe des Tages wieder schlechter. Bis zum Nordkap sind es dank gestriger Vorarbeit (160 km) "nur" noch 150 km. Machbar und scheint sich zu lohnen.

Ich komme trotzdem erst gegen 8.00 Uhr aus den Daunen und rolle 9.30 Uhr 15 km aus dem Fjell runter an meinen letzten Fjord, an dessen Ostküste es reichlich 100 km nach Norden geht. Als Radkilometer mit Buchten Ausfahren und aller Kurverei.

Mir kommen auch heute - schon zeitig am Tag - Radler (und 3 Wanderer) entgegen. Die Radler (alle, die mir bisher entgegenkamen und die Stecke andersherum fahren) bedaure ich etwas, weil ich vermute, dass sie viel Gegenwind haben werden.

Am Fjord ist abwechslungsreiches Wetter - Wolken und Sonne zeigen , was sie gemeinsam so drauf haben. Auch das Ufer unter der Straße ist immer anders. Steilküste, mal Sand- dann wieder Kiesstrände. Und die Wellen haben einen auffällig langsamen Takt, als ob sie jemanden zur Ruhe bringen möchten. Das ist mir so noch nie aufgefallen.

Die Steilküste besteht vorwiegend aus Schiefergestein. Dünne Platten übereinander - es sieht nicht sehr stabil aus. 

Aber zugegeben: ich haste auch etwas durch, in dem Wissen, dass ich die 100 km rückwärts nochmal fahren werde.

Kurze Pause an der Hütte des "Drahtigen". Er hatte mir sein Bootshaus samt davor liegenden traditionellem Holzboot so gut beschrieben, dass ich es gleich erkenne, als ich "um die Kurve komme". Es ist ein schönes Bootshaus mit einer kleinen Mole samt kleinem Leuchttürmchen und am Bootshaus einige alte traditionelle Gerätschaften. Klingt nach "Gartenzwerg"-Stil, ist es aber absolut nicht, sondern sehr geschmackvoll. Leider ist niemand da, es ist auch fraglich, ob ich seit Bodø samt meiner Auszeiten für Regen, Berge und in Tromsø nun schneller war oder er (und sein etwas langsamerer Freund). Auf der Rückfahrt schaue ich nochmal vorbei und hinterlasse eine Nachricht. 

Ja und dann ist das Kap ja auf einer Insel, die man durch einen Umterwassertunnel erreicht. 7 km lang, reichlich 200 m tief. Als ich in das Loch reinfahre, ist mir etwas anders, aber ich bin froh, dass ich inzwischen ein Tunnelprofi bin. Immerhin ist man wegen des Schlussanstiegs mindestens eine 3/4 Stunde drin. Gut beleuchtet und wenig Verkehr (mich überholen ganze 10 Autos) störten mich am meiste  die Lüfter an der Decke - laut wie Flugzeugtriebwerke. Glücklicherweise gibt es die nur in der Tunnelmitte, sonst wäre es wirklich furchtbar. 

Auf der Insel habe ich noch Zeit: Sonne kommt gegen Mitternacht und es ist jetzt gegen 18 Uhr. Die 30 km zum Kap verschiebe ich und mache in Honnigsvåg noch eine Pause, die mich aufbaut für die restlichen km (siehe mein anderer Eintrag).

Ich fühle mich im Restaurant so wohl, dass ich nach Telefonaten mit meinen Eltern und Uta erst kurz vor 21 Uhr den Rest unter die Pedalen nehme. Es ist noch mal hoch, runter, hoch.mit zusammen 700 hm und ein paar davon laufe ich einfach mal. Das Plateau ist noch nebelverhangen, ich lasse dem Wetter noch etwas Zeit. Und beim Laufen mache ich die merkwürdige Erfahrung, dass ich viel besser irgendwelchen Gedanken nachhängen kann, als beim Radfahren. 

Die Insel ist bestimmt 2 Grad kälter als das Festland. Aber oder Wind vom Nachmittag hat sich komplett gelegt. Es ist ganz ruhig. Da man viel über die Hochebenen fährt, kann das ganz anders sein. Und es ist auch viel milder, als ich vermutet habe. 2017 lag viel Restschnee, heute - 5 Jahre und 3 Wochen später - ist kein einziges Schneefeld zu sehen. Am Ende bleiben Handschuhe, Mütze, "Oma" und lange Unterhose völlig unbenutzt in meiner Radtasche? Ich habe für Notfälle sogar einige Wärmepads dabei ... 

Ich bin unschlüssig, ob ich der Herausforderung, das Nordkap bei Schnee und Kälte erkämpfen zu müssen, nachtrauern sollte. Männer / Schneider !!

Als ich aufs Plateau komme (5 km vor dem Kap) ist es wolkenfrei. Kurz vor dem Ziel etwas Rührung und 2 Tränen. Für mehr ist kein Platz im Rummel, der mich erwartet. Sicher ist es ruhiger, als tagsüber, aber es ist nicht dran zu denken, dass man mal Zeit für sich hat. Und ich schiebe mein Rad auch bissel in die Ecke: einerseits bin ich sowieso nicht exklusiv und andererseits mag ich nicht rumprotzen. Es wird also kein Foto mit Rad und Globus geben? Mal sehen. 

Schön ist, dass man neuerdings hier oben zelten kann. So bleibe ich über Nacht.