Mittwoch, 29.06.2022

Finse / Solvorn - 70 (1120) km - 500 hm

WETTER - heiter - trocken - bisschen Wind



Ich muss zur Fahrt durchs Gebirge (28.06.) noch ergänzen: Wasser, Wasser, Wasser ...! Auf den ganzen letzten 20 km ein ständiges - mir manchmal fast bedrohliches - Tosen und Donnern. Selten mal ein sanftes Rauschen. Von allen Seiten stürzen Wasserfälle ins Tal oder schlängeln sich Bäche durch die Wiesen. Die Wiesen oder Ebenen sind selbst eigentlich nur kleine Restflächen um unzählige große oder kleine, meist flache Wasserflächen mit unbeschreiblich klarem Wasser. Und wo sich das Tal verengt krachen die Wassermassen ohrenbetäubend durch das Nadelöhr.
Also ich war davon schwer mitgenommen und auch ein Stück überfordert.

Heute morgen rolle ich vom meinem Traumplatz mit Blick auf Schnee und Eis bei schönstem Wetter noch 1 km zum Bahnhof Finse und nehme für 30 km den Zug.
In Myrdal steige ich aus und bin am oberen Ende des Flamsdal - eines der absoluten Norwegenhighlights. Entsprechend der Bahnhof voller Touristen, die vom Fjord unten mit der berühmten Flamsdalbahn hier hoch fahren und wieder runter (oder runter laufen).

Ich habe mich mit dem Rad hochgearbeitet und darf nun runterrollen. Was dauert, wegen der Fotopausen. Das Tal ist wirklich großartig - v.a. wieder wegen der Wasserfälle und dem Fluss im Tal.

Am Talboden schaue ich in ein kleines Holzkirchlein rein und versuche mir die Atmosphäre und die Glaubenswelt im Tal in früheren Jahrhunderten vorzustellen und denke kurz über die extrem unterschiedlichen Empfindungen nach, die diese Kirche in mir weckt im Gegensatz zum aufstrebenden gotischen Dom in Havelberg. In der kleinen Kirche bin nur noch ich und .......

Ganz unten am Fjord bin nicht nur ich. Es wird gerade ein Kreuzfahrtschiff ausgekippt. TUI hat den Fjord gebucht - vom Fjord ist vor lauter "Schiff" nicht mehr viel zu sehen. Aber mit Flamsdal(bahn) und Auerlandsfjord und v.a. dem benachbarten Naroyfjord den man durch einen Tunnel mit Busshuttle erreicht und von dort eine Fjordrundfahrt zurück nach Flam machen kann, wird hier wirklich was geboten. Ich meine das auch ernst. Wir waren 2017 im Naroyfjord und Auerlandsfjord - es ist sehr sehr schön.

Ich nehme von Flam das Schnellboot Richtung Bergen. Aber nur 2 Stationen und bin nach 1 Stunde im großen Sognefjord und steige in Leikanger, am Nordufer des Sognefjord wieder aus. Leider findet man solche Schiffsrouten nicht zentral irgendwo im Netz. Ich habe es durch Zufall kurz vor knapp irgendwo in einem Internetbericht gefunden. Vielen Dank an Unbekannt.

Auf dem Boot ein anderer Nordkapradler. Wir werden nicht ganz warm, aber müssen wir nicht: er will nach Westen, mehr an der Küste lang, ich erstmal nach Osten.

Jetzt würde ich gern noch km machen!!
Aber ach, mich bremst die nächste Fähre aus, die ich nach 40 km radeln um 19 Uhr noch nehmen will. Um die Zeit fährt sie nicht mehr.
So stehe ich im Hafen von Solvorn und könnte umdrehen und am nördlichen Fjordufer noch paar km weiterfahren.

Aber SOLVORN !!! Ich bin gleich gefangen von Dir und suche ohne viel hin und her nach dem Zeltplatzschild, an dem ich vorbeigeradelt war. Ich finde den "Zeltplatz", melde mich an und bin noch mehr verzaubert.

Solvorn ist erstmal ganz rational ein kleiner Sackgassenort am Fjord, den man aus ca 300 m Höhe über eine steile, ca 3 km lange Stichstraße erreicht - ich meinerseits, weil ich mit der dortigen Fähre wieder auf das Südufer - nach Urnes wechseln wollte. Dort steht die älteste Stabkirche Norwegens, die ich mir dann schon auch anschauen wollte. Aber das wird nun erst morgen.

Solvorn wirkt abgeschieden, kleine weiße Holzhäuser, ein gediegenes, dem Ortscharakter angepasstes Hotel, ein örtlicher Badestrand, ein kleiner Hafen, an der kurzen Straße kurz vor der Hafenkurve das Cafe samt Tante-Emma-Laden, den gerade eine hübsche Spät-50erin abschließt, nebenbei im Schwatz mit einer Freundin ...... Na wer fühlt sich ertappt, dass er das alles schon mal sonntags bei ZDF .... ich kann seit heute bestätigen, dass es das wirklich gibt.

Nun und der "Zeltplatz" bzw Hostel? Supernettes Pärchen um die 40. Hanggrundstück - logisch. Mit kleinem Gartenbau ("im Gemüsegarten kannst Du Dich bedienen"), Apfelbäumen, Schäfchen und einer kleinen Beerenplantage. In der Rezeption gibt es selbstgemachten Apfelsaft und Marmeladen. Leider sind die Preise für mich dann doch zu hoch.
Und es ist vielleicht Platz für 12 Zelte und innen mag es noch 5 Hostelzimmer geben, so dass es superfamiliär ist.
Für mich der absolut beste Zeltplatz, den ich je .... naja jedenfalls mindestens Top 5.
Und um die Werbung zu komplettieren: man kann von hier aus, mit Auto, einiges anstellen. Norwegens älteste Stabkirche, irgendwo zum Jostedalsbreengletscher oder mal hoch ins Sognefjell.

Ich hatte bestimmt einen der schönsten Abende auf meiner Reise und habe auf bestem englischem Rasen richtig gut geschlafen.

Vorher, das kann ich auch nicht vorenthalten, war ich nochmal unten am Hafen. Sitze auf einem Steg und darf belauschen, wie 5 m neben mir das junge Küchenpersonal des erwähnten Hotels nach getaner Arbeit - es ist sicher schon nach 23 Uhr - noch ein paar Nachtischreste genießt und sich darüber austauscht, wie das Essen gelungen war.
Eines der Mädchen träumt davon, selbst Eissorten herzustellen anstelle einzukaufen, der Koch fragt das andere Mädchen, wie Sie denn die knusprige Decke des Gebäcks, das sie gerade genießen, gemacht habe ...
So oder ähnlich, in Englisch. Manches mag auch anders gewesen sein.

Gute Nacht!!