Donnerstag, 23.06.2022

Rostock / Køge - 130 km

 WETTER - heiter - trocken - Rückenwind



Nach dem Wilden Zelten ein verrückter Vormittag.

Ich will die Fähre 11.15 Uhr nach Gedser erreichen. Abfahrt ca. 15 km außerhalb vom Rostocker Stadtzentrum oder nur 9 km, wenn man die Fähre über die Warnow nimmt. Diese legt 10.10 Uhr auf der Stadtseite ab. Um 10 Uhr habe ich aber noch einen Termin im Radladen wegen eines Ersatzteils (ich traue den Lowriderklemmen nicht und möchte ein Ersatzpaar dabeihaben). Zwischen Radladen und Fähranleger sind laut Google 6 Minuten.

Ich fahre zeitig in die Stadt, checke vorab die Strecke zwischen Laden und Anleger, finde sogar eine schnellere Route und habe Zeit für ein Cafe-Frühstück mit Blick auf den Wochenmarkt. Dann gehe ich zum Radladen. Neben dem Radladen ist noch ein Rewe und es ist 9.45 Uhr. Der Mann neben mir will auch in den Radladen und passt solange aufs Rad auf. Ich mache den kleinen Einkauf und komme kurz vor 10 Uhr zurück: weder Mann noch Rad sind da. Gähnende Leere. Ich bin total perplex und denke, dass das nun schon das Ende meiner schönen Reise sein könnte. Nach dreimal Umsehen versuche ich es mit der Ladentür. Die ist offen und innen begrüßt den Besucher ein fix und fertig präparierte, wunderschönes 90-Jahre Reiserad. MEIN Rad. Puuuuuh! Der Mann war der Ladeninhaber, das erklärt im Nachhinein alles, der Schock bleibt aber noch eine Weile.

Aber halt, für den Schock ist keine Zeit: Ersatzteil gekauft und durch die Innenstadt zum Anleger der Stadtfähre gedüst.

Als das alles hinter mir ist, genieße ich die kurze Überfahrt und den Blick auf das neue Hafenviertel. Wie in vielen Städten ist auch hier luxuriös und gediegen neu gebaut worden. Ich denke an das Dresdner "Hafenviertel" an der Leipziger, was hier überhaupt nicht mithalten kann. In Dresden ist diesbzgl. mächtig was schief gegangen bzw großes Potential nicht annähernd angemessen genutzt worden.

Auf der Fähre nach Gedser sind einige Radfahrer. Zwei sympathische Pärchen um die 55 und eine sehr "laute" Gruppe, den Shirts nach zu urteilen auf einer organisierten Berlin-Kopenhagen-Tour.

Aber ich kann mich der lauten Gruppe auf der Fähre entziehen: ich setze die Kopfhörer auf und "packe" endlich Joachims Abschiedsgeschenk "aus": er hat mir aufs Handy zwei eigene Klavieraufnahmen aufgespielt. Joschi, Joschi, was für eine Gabe. Wie begeistert ich bin, habe ich dir geschrieben, das gehört nicht hierher. Die Aufnahmen werde ich noch oft hören, eher am Abend - beim Radeln selbst mag ich das nicht. :-)

Die laute Gruppe sehe ich zu Lande nicht wieder, die beiden Pärchen schon. Wir überholen uns gegenseitig. Es sind Leipziger, sie sind mit dem Auto bis Rostock gefahren und radeln jetzt zu ihrem Ferienhaus auf der Insel Møn. Møn liegt auch auf meiner Route, wir machen zusammen noch eine kleine Fährüberfahrt zwischen den Inseln und auf Møn verlasse ich sie um meine restlichen 60 km allein zu kurbeln.

In Gedser waren wir 13 Uhr angekommen, so dass der Radtag spät begann. Um die Oslofähre in Kopenhagen zu schaffen, musste ich heute möglichst weit fahren. Als Ziel habe ich Køge ausgesucht. Das waren dann wieder 130 km

Ich rechnete mit meiner Ankunft auf dem Zeltplatz in Køge gegen 23 Uhr.
Anfangs rauschten wir mit Rückenwind dahin und ich denke, es wird wohl schneller gehen. Aber die km fordern ihren Tribut, es geht erstaunlich viel hoch und runter, so dass ich wirklich erst 23.15 Uhr in Køge mein Zelt aufbaue.

Dänemark ist idyllisch. Vor allem auf dem Land. Fast schon zu idyllisch. Wer wegen Rosamunde-Pilcher-Charme nach Südengland möchte: das muss nicht sein. Vieles findet sich in Dänemark genauso. Das Meer, klar. Aber auch nette Hafenörtchen, schicke, geschmackvolle Häuschen, gediegene Höfe mit weiß gekiesten Alleenzufahrten und wunderschöne Gärten (und alten Damen, die im Abendlicht die Hecke geradezupfen) ... Es fehlen eigentlich nur die Adligen, deren Herrenhäuser und die Hohlwege.

Dir, Vater würden die Bauernhöfe gefallen. Einzeln in der Flur stehend, das zu bebauende Land ringsum - zur Zeit im Wind wogende Gerstenflächen - vermitteln sie den Eindruck, dass es den dänischen Bauern gut geht.

Am Ende des Tages quäle ich mich doch wieder. Die letzten 40 km ziehen sich über eine schnurgerade und gut befahrene Landstraße Richtung Kopenhagen. Ich denke zu spät an die Energiezufuhr und erst 1/2 Stunde nach zwei Honigstullen geht es wieder deutlich besser.

Und es ist Schuljahresschluss. Zumindest für die 10er und 12er. Heute fahren die Absolventen im offenen LKW über Land und machen eine Menge Krach. Ein Imbissverkäufer versuchte mir den Brauch freundlicherweise auf Deutsch zu erklären. Sein Deutsch war deutlich besser, als mein Dänisch